Eine Trennung oder Scheidung ist ein kritisches Lebensereignis, das Menschen sehr persönlich betrifft; sie trennen sich oder werden getrennt oder verlassen. ALLE Betroffenen sind mit schmerzhaften Veränderungen, die ihre eigene Identität, ihre Beziehungen und ihre Biographie betreffen, konfrontiert. Eine Trennung oder Scheidung ist ein Lösungsversuch der Erwachsenen, die meisten Kinder und Jugendlichen möchten eigentlich keine Trennung. Und auch für die Eltern ist die Bilanz häufig nicht ausgeglichen. Die Entlastungen und Belastungen nach der Trennung sind oft ungleich verteilt. Zumeist sind die Kosten (matieral und emotional) aber für alle sehr hoch.

Eine Trennung muss verarbeitet werden. Es geht darum diese Veränderungen und das Erlebte zu verarbeiten und in die eigene Biographie zu integrieren.

Die Bewältigung der Trennung und Scheidung erfordert eine Entwicklung aller Beteiligten.

Aus dem Inhalt:

  • Grundsätze
  • Reaktionen der Kinder
  • Typische Beziehungsdynamiken
  • Der Streit darüber, Recht zu haben oder im Recht zu sein
  • Was Kinder brauchen
  • Was in dieser schwierigen Zeit auch noch helfen kann

Eine Trennung oder Scheidung der Eltern ist für Kinder und Jugendliche immer belastend. Es spielt jedoch eine sehr grosse Rolle, wie diese Trennung zwischen den Eltern abläuft bzw. wie verantwortungsvoll Eltern diese schwierige Lebenssituation meistern können.

Leider besteht nur in seltenen Fällen Einigkeit zwischen den Eltern. Viel eher stehen zwei mehr oder weniger verhärtete, oft auch widersprüchliche Positionen einander gegenüber.Trennung und Scheidung I

Beide Elternteile sind überzeugt, im Recht zu sein, nur das Beste für die Kinder zu wollen,…Tatsächlich ist es ja auch so, dass es verschiedene Sichtweisen und subjektive Wahrheiten gibt, je nach Blickwinkel.

Das Kind oder die Kinder stehen zwangsläufig „dazwischen“. Sie sind von den Eltern abhängig.

In der Regel passt sich das Kind den Wertevorstellungen der Eltern an und internalisiert deren Werte, Einstellungen und Erwartungen. Wenn beide Eltern ähnliche Überzeugungn haben, gleiche Anfroderungen an das Kind stellen usw., dann ist das Kind beiden Eltern gegenüber loyal. Durch eine Trennung und Scheidung wird die Loyalität zwischen den Eltern gekündigt. Das Kind kommt in einen Loyalitätskonflikt.

Kinder haben oft kein oder wenig Mitspracherecht in dieser Situation und sie können sich auch nicht von ihren Eltern „scheiden lassen“, falls sie mit der Situation unzufrieden sind oder darunter leiden. Umso grösser ist die Verantwortung beider Elternteile das Wohl der Kinder gut im Auge zu behalten.

Obwohl mit dem Urteil der Scheidung und der Regelung der finanziellen Verpflichtungen zumindest formal einige wichtige Dinge geklärt sind und das rechtliche Urteil Weichen für das zukünftige Leben aller Beteiligter stellt, sind diese Aspekte für Kinder nicht die zentralen Punkte und damit noch lange nicht alles Wesentliche geklärt.

Für Kinder ist viel bedeutsamer wie das Zusammen-Leben, trotz getrennten Eltern, in Zukunft gestaltet wird. Wie sieht der Alltag der Kinder aus? Wie wird sichergestellt, dass ein intensiver Kontakt zu beiden Elternteilen bestehen bleibt?

Wie werden die neuen Lebens- und Beziehungsräume von allen Beteiligten ausgefüllt?

Für Kinder geht es bei einer Trennung und Scheidung um eine grundlegende Umstellung auf der Ebene der Beziehungen und des Alltagslebens.

Da dies die qualitativ wichtigsten Beziehungen im Leben eines Kindes sind, führt das zwangsläufig zu inneren Prozessen; Veränderungen auf der Gefühlsebene und der Wahrnehmung:

Was heisst Familie? Wie läuft nun ein gewohnter Sonntagmorgen ab? Wer übernimmt den Mittagstisch? Wer ist für mich da, wenn Mama traurig ist? Was wird von mir erwartet? Was ist, wenn ich Papa mehr sehen will? Was bedeutet es für Papa, wenn ich bei Mama wohne oder umgekehrt? Usw.

Die Umgestaltung des neuen Alltaglebens und die Verarbeitung des Verlusts des Gewesenen sind entscheidend für die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung der Kinder, für ihren Selbstwert und ihre Fähigkeiten künftige Beziehungen zu entwickeln.

Trennung und Scheidung ist eine Verlusterfahrung und Verlusterfahrungen lösen Trauer und Ängste aus.

Trennung und Scheidung II

Grundsätze

Folgende Grundsätze sollten beide Elternteile nie aus den Augen verlieren und ihren Kindern gegenüber auch immer wieder vermitteln; also verbal und in ihrer Haltung ausdrücken:

  • Wir bleiben immer Vater und Mutter von euch.

  • Wir beide werden euch immer lieben, egal was passiert und kommen wird.

  • Die Trennung ist nicht das Ende der Familie. Auch wenn wir nicht immer zusammenleben, werdet ihr die Mama / den Papa nicht (ganz) verlieren.

  • Wir Eltern tragen auch nach der Trennung gemeinsam Verantwortung für euch Kinder.

Kinder brauchen Erwachsene, die sich bewusst damit auseinandersetzen, dass ein Kind einen Vater und eine Mutter hat und diese Tatsache unabänderbar ist.

Diese Grundsätze leuchten wohl allen ein und alle, die gerade eben Eltern wurden, würden diesen Aussagen zu 100% zustimmen.

Dennoch zeigt die Praxis, dass es in der Dynamik eines Beziehungskonflikts sehr schnell geschehen kann, dass diese Grundsätze in den Hintergrund rücken, und es für Eltern sehr schwierig wird ihre elterliche Verantwortung gegenüber den Kindern gemeinsam zu tragen.

Sehr oft wird aus dem Paarkonflikt auch ein verschärfter Konflikt auf der Elternebene

Warum dies so schwierig ist, wird im Folgenden weiter ausgeführt, zunächst aber ein weiterer wichtiger Grundsatz:

  • Auch wenn die Verletzungen auf der Paarebene gross sind, ist es sehr wichtig die Kinder vor dem elterlichen Konflikt zu verschonen.

Langzeitstudien zeigen, dass Scheidungsfolgen (negative Auswirkungen von Trennung und Scheidung) sehr stark mit dem Ausmass des Elternkonflikts zusammenhängen. Ganz zentral ist das Verhalten der Eltern in der Zeit der Trennung.

Der Einbezug der Kinder in den elterlichen Konflikt ist für die Kinder belastend und schädlich für ihre Entwicklung.

Trennung und Scheidung III

Reaktionen der Kinder

Bei Kindern werden durch die Trennung und Scheidung wesentliche Grundbedürfnisse verletzt. Insbesondere der Wunsch nach verlässlichen Beziehungen scheint bedroht. Diese Bedrohung wird real, wenn es zu Beziehungsabbrüchen zu einem der beiden Elternteile kommt.

Sehr oft wird bei Kindern ein Gefühlschaos von Schmerz, Angst, Trauer, Wut, aber auch Scham und Schuld ausgelöst.

Es ist ganz wichtig die Kinder von Schuldgefühlen zu befreien.

Sehr oft höre ich von Kindern, dass sie Angst oder die Fantasie haben, sie hätten etwas falsch gemacht und daher würden sich die Eltern trennen. „Wenn ich besser gehorcht hätte, dann wären Mama und Papa noch zusammen“.

Ich fordere Eltern ganz bewusst dazu auf, gegenüber ihren Kindern in etwa Folgendes zu äussern: „Du bist in keinster Weise Schuld daran, dass wir Eltern uns zu diesem Schritt entschieden haben. Diese Entscheidung liegt ganz in unserer Verantwortung.“

Diese oder ähnliche Worte dem Kind gegenüber auszudrücken, lohnt sich auch dann, wenn das Kind die Schuldgefühle nicht laut ausspricht, denn dies ist höchst selten der Fall, trotzdem leiden Kinder unter solchen bedrückenden Vorstellungen, insbesondere dann, wenn die Stimmung Zuhause oft angespannt und konflikthaft ist.

Kinder lernen sehr früh: Wenn etwas Schlimmes geschehen ist, dann ist jemand Schuld daran.

Manche Kinder reagieren nach aussen mit sichtbaren Verhaltensauffälligkeiten: Sie werden launischer, gereizter, gehorchen weniger, sind unkonzentrierter oder ziehen sich mehr zurück und schweigen, … Öfter kommt es auch zu Leistungseinbussen in der Schule.

Wichtig: Diese Reaktionen der Kinder sind ganz normale Reaktion auf diese aussergewöhnliche Lebenssituation!

Verhaltensauffälligkeiten gehören in einer solch belastenden Zeit dazu!
Auch wenn Kinder in dieser Übergangszeit teilweise heftig reagieren, müssen wir uns unbedingt vor Augen halten, dass nicht das Kind „das Problem“ ist, sondern das Problem liegt auf der Erwachsenenebene!

Dass Kinder auf diese Probleme reagieren, ist nur verständlich, wenn man bedenkt, was diese aktuelle Situation einer Trennung und Scheidung für Kinder bedeutet. Daher ist es ganz wichtig, dass Kinder nicht auch noch das Gefühl bekommen, mit ihnen „stimmt etwas nicht“ oder sie sind „verrückt“.

Es sind die Verhältnisse der Eltern, die ver-rückt wurden!

Für mich als Fachperson sind oft gerade die Kinder besorgniserregend, die in dieser kritischen Lebenssituation nach aussen kaum Veränderungen oder Auffälligkeiten zeigen. Wie geht das Kind mit seiner Wut um? Was macht es mit seinen Ängsten? Wie zeigt es seine Sorgen? Stecken hinter seiner Zurückhaltung Schuldgefühle? Hat es Angst die Mama oder den Papa ganz zu verlieren, wenn es seine Gefühle offen zeigt? …

Trennung und Scheidung IV

Typische Beziehungsdynamiken

Fachpersonen sprechen von sogenannt „typischen Trennungssymptomen“: Diese sind Widerspenstigkeit und Verweigerung gegenüber elterlichen Forderungen oder auch Rückzugsverhalten und Ablehnung.

Hinter diesen Reaktionsweisen liegen die Gefühle und Unsicherheit der Kinder (vgl. oben). Was man aber beobachten kann, sind nicht direkt die Gefühle selber, sondern das Verhalten.

Im Artikel Ein hilfreicher Erziehungsansatz: Ein kindliches Problemverhalten als Lösungsversuch verstehen erkläre ich, wie hiflreich es ist, wenn man zu verstehen versucht, was hinter dem kindlichen Problemverhalten steckt.

Nun kann man sich vorstellen, dass eine kindliche Verweigerungshaltung sehr anstrengend ist. Aufgrund der sowieo schon belasteten Situation, kommt es in der Folge leider sehr schnell zu einem Konflikt oder gar einer Eskalation.

Ein Beispiel:
Die Mutter fordert den Sohn auf, den Küchentisch abzuräumen. Der Junge gehorcht nicht, sondern verschwindet wortlos in seinem Zimmer und dreht den Radio laut.

Die Mutter folgt ihm und fordert ihn deutlicher auf, ihrer Forderung nachzukommen. In der Folge schreien sich Sohn und Mutter an. Der Sohn beschimpft die Mutter mit üblen Betitelungen und die Mutter meint: „typisch, immer wenn du von Papa kommst, tust du so, als ob du der Chef im Haus bist – genau wie er“.

Hinter dem schwierigen Verhalten des Jungen stecken Gedanken und Gefühlszustände, die selbst dem Kind nicht immer ganz bewusst sind. Diese könnten etwa wie folgt aussehen:

„Wenn du mich wirklich liebst, akzeptierst du mich so wie ich bin!“
„Immer muss ich zwischen euch hin und her pendeln, dabei kann ich ja nichts dafür, dass IHR euch getrennt habt!“
„Du hast mir den Papa weggenommen, das habe ich nicht verdient!“
„Ich befürchte, dass der Papa von mir enttäuscht ist und mich nicht mehr so oft sehen will, wenn ich mich mit dir besser verstehe als mit ihm.“

Das schwierige Verhalten fordert im Grunde auf, solche, nicht laut gestellten Fragen und Befürchtungen zu beantworten und dem Kind zu beweisen, dass es eben nicht so ist, wie befürchtet. Hilfreich wäre es, wenn die Mutter in dieser Situation etwa sagen und zeigen könnte:

„Ich weiss, dass du wütend und traurig bist.“
„Die Situation ist im Moment nicht einfach für dich!“
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Papa und ich haben dich sehr lieb und wir sind immer für dich da!“
„Ich verstehe, dass für dich im Moment alles beschissen ist und du wütend auf uns bist.“
„Bist du traurig, dass du dich schon wieder von Papa trennen musstest?“


Schön wäre es, wenn der Junge eine Gelegenheit bekommt, seine Gefühle selber in Worte zu fassen. Statt auf das sofortige Abräumen des Tisches zu bestehen, könnte die Mutter dem Sohn ein Gespräch anbieten.

„Komm, lass uns hinsetzen und zusammen reden“. Oder je nach Alter des Kindes, nimmt die Mutter ihren Sohn einfach in den Arm und spendet ihm Trost und Verständnis.

Dies bedeutet aber, dass die Mutter auch tatsächlich versteht, warum der Sohn so agiert und was hinter seinem schwierigen Verhalten wirklich steckt. Und dass sie selber in der emotionalen Verfassung ist, liebevoll und geduldig auf die Provokationen des Kindes zu reagieren!

Das ist ganz schön anspruchsvoll – für JEDE Mutter, in JEDER Lebensphase!

Viel wahrscheinlicher ist es, dass eine Mama, die gerade mitten in einer schwierigen Trennungssituation ist, selber emotional belastet und gestresst ist, eher wütend, ungeduldig und genervt auf diese Verweigerung des Sohnes reagiert!

Das Problem ist, dass sich gerade durch diese Dynamik die schlimmsten Befürchtungen der Kinder mit Verweigerungstendenzen und provokativem Verhalten auf der emotionalen Ebene bestätigen: „Mama hat mich nicht mehr lieb“, „Mama findet den Papa doof und mich genauso“, …

Es kommt also zu einem Teufelskreislauf und einer sogenannten Selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Dynamik einer Selbsterfüllenden Prophezeiung habe ich in diesem Artikel beschrieben.

Aber nicht nur beim Kind hinterlässt dieser Teufelskreislauf negative Spuren, sondern damit wird auch genau das bestätigt, was schon im Raum hängt: Die Schuld an solchen schwierigen Auseinandersetzungen wird beim Vater (anderen Elternteil) gesucht.

Schlimmstenfalls führt es dazu, dass die Kontakte eingeschränkt werden – da das Kind sonst immer so schwierig ist oder weil es scheinbar für das Kind selber zu belastetend ist. Und somit bestätigen sich auch noch die schlimmsten Befürchtungen vom Kind: Ich verliere den Papa ganz…

Ganz zu schweigen von den Folgen, die der Kontaktabbruch oder die Kontaktreduktion sonst noch mit sich bringen.

 


Der Streit darüber, Recht zu haben oder im Recht zu sein

Wie bereits geschrieben, stossen in der Regel bei einer Trennung mindestens zwei (widersprüchliche) Positionen aufeinander. Wenn man die Sichtweisen der Kinder dazu nimmt, sind es sogar noch mehr.

Sehr oft wird sehr viel Energie dafür aufgewendet einander, den Kindern oder auch dem Scheidungsrichter zu „beweisen“, wer im Recht ist bzw. wer Recht hat.

Dieser Streit kostet neben viel Energie (Zeit und Kosten!) auch viel Lebens- und Beziehungsqualität. Je härter man seine eigene Position vertritt und dafür einsteht, dass dies die einzig richtige „Wahrheit“ ist, umso härter wird meist der Kampf und umso dramatischer der Ausgang für die Kinder.

Hilfreicher wäre es, zu akzeptieren und gegenüber den Kindern dafür einzustehen, dass es immer mehrere subjektive Sichtweisen nebeneinander gibt. Diese Sichtweisen kommen gleichzeitig vor und sind auch gleichwertig, selbst dann, wenn sie sich auf den ersten Blick widersprechen!

Wir Menschen können nur „einseitig“ bzw. subjektiv wahrnehmen, dies ist aber immer nur ein Teil der Wahrheit.

Vielleicht hilft hier wiederum ein Beispiel:
Frau Müller und Herr Müller sitzen beide im gleichen Zug – unterwegs nach XY ihre Kinder bei den Grosseltern abzuholen. Herr Müller hat sich einen Sitzplatz rechts am Fenster ausgesucht, Frau Müller möchte lieber etwas die Sonnenstrahlen genießen und sitzt auf der linken Seite am Fenster.

Herr Müller sieht auf einen wunderschönen See hinunter. Er betrachtet die farbigen Boote und die schönen Landhäuser und träumt davon, auch mal so ein Haus zu besitzen. Frau Müller geniesst die Wärme der Sonne, sieht über lange Strecken farbige Wälder und entdeckt sogar ein Reh.

Das Ehepaar steigt aus und berichtet sich auf dem Fussmarsch, was sie gesehen haben. Hätten sie beide auf der Reise ausschliesslich auf ihrer Seite zum Fenster hinausgesehen, könnten sie lange darüber streiten, ob diese Strecke an einem See oder am Wald liegt.

Man konnte nicht gleichzeitig den Wald und das Seeufer sehen. Die ganze Landschaft besteht aber sowohl aus Seeufer, schönen Häusern, Wald, Tieren und vielem mehr. –

Wäre eines ihrer Kinder mitgefahren, hätte dieses evt. behauptet, dass es auch Elefanten gibt, denn nur das Kind hätte die nötige Fantasie und Wunschvorstellung gehabt, in den grossen Bäumen dieses Waldes Elefanten zu sehen… (in Anlehnung an A. Sarasin, Referat 2004).

Den Kindern zu helfen, widersprüchliche Positionen zu verstehen und anzuerkennen, können wir nur dann, wenn wir selber bereit sind uns einzugestehen, dass es nicht EINE Wahrheit gibt.

Dafür müssen wir immer wieder bereit sein, uns von unserer eigenen subjektiven Sicht zu distanzieren und „die Landschaft“ von oben zu betrachten. Besonders interessieren sollte uns Eltern die Wahrnehmung der Kinder!

Trennung und Scheidung V

Was Kinder brauchen

  • Kinder brauchen die Entlastung von Schuldgefühlen und die damit verbundene Gewisseheit, dass keiner der beiden Eltern dem Kind Schuld an der Trennung gibt. Dieses Thema kann ich nicht genug betonen, da viele Kinder unter Schuldgefühlen leiden. Das hat damit zu tun, dass (auch) Kinder versuchen, sich zu erklären, warum es zur Trennung der Eltern kommt. Sie erklären sich die Welt mit ihren eigenen subjektiven Wahrnehmungen und gerade auch jungere Kinder führen vieles auf sich selber zurück: Mama weinte heute, als Papa sie anschrie und Papa schrie heute, weil ich das Zimmerm schon wieder nicht aufgeräumt habe. Mama beklapte sich bei Papa, dass sie für ihn nochmals Abendbrot kochen musste, hätte ich nicht schon so früh Hunger gehabt, hätte sie nur einmal kochen müssen.
  • Kinder brauchen altersangemessene Erklärungen für das, was eigentlich warum geschehen ist, damit sie ein hinreichendes Mass an rationalem Verständnis darüber entwickeln können.
    Ansonsten werden Kinder und Jugendliche von quälenden Unwissenheiten geplagt und an der Stelle von Wissen setzen sich kindliche Phantasien, die oft viel belastender sind als die Wirklichkeit. Was Kinder und Jugendliche darum brauchen,

    • ist einerseits eine Erklärung, dass es eine Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau gibt, die sich von der Liebesbeziehung zwischen Eltern und Kind unterscheidet. Während sich die Art von Liebe zwischen Mann und Frau „verflüchtigen“ und man sich auseinanderleben kann, bleibt die Liebe zwischen Eltern und Kind immer bestehen.
    • ist andererseits, dass sie altersentsprechen über die Gründe des Scheiterns der Ehe der Eltern aufgeklärt werden. Da es sich kaum verhindern lässt, dass die Kinder zwei (oft widersprüchliche) Varianten bzw. eine Mama- und eine Papa- Version hören, die alles nur noch verwirrender machen oder sie noch mehr in einen Loyalitätskonflitk bringen können, loht es sich dies genau so zu sagen: Es gibt nicht EINE Geschichte, sondern es sind ZWEI, vielleicht sogar verschiedene Geschichten und beide Geschichten sind (subjektive) Wahrheiten. Genau so wie es in einem Streit (z.B. mit einem Geschwister) auch unterschiedliche Sichtweisen gibt und beide Kinder meinen, sie hätten Recht und der andere nicht. (vgl. oben) Zum Thema Kommunikation lesen Sie auch: 7 Gründe, warum Sie mit Ihrem Kind möglichst viel sprechen sollten.
  • Kinder brauchen ihrem Alter entsprechenden Lebensraum: Es besteht eine grosse Gefahr, dass Scheidungskinder einen grossen Teil ihrer Zeit und Energie darauf verwenden müssen, sich nach den Eltern und ihren Vorgaben zu richten. So ist es beispielsweise ganz altersentsprechend, dass Jugendliche ihre Freizeit und Wochenenden am liebsten mit Gleichaltrigen oder für sich alleine mit „Chillen“ oder „Hängen“ verbringen möchten. Die Zeit, die sie mit der Familie verbringen möchten, wird in diesem Alter bei allen Kindern stark reduziert. Besteht nun ein Elternteil darauf, dass dies nun doch „seine“ bzw. „ihre“ Zeit sei und das Kind die Zeit „gefälligst“ entsprechend der Abmachung (richterlichen Verfügung) mit dem Elternteil zu verbringen habe, dann ist der Konflikt vorprogrammiert. Übriges gibt es diese Konflikte auch in „intakten“ Familien, da sich die Bedürfnisse von Eltern und Jugendlichen auseinanderbewegen, doch bei getrennt lebenden Eltern wird das Thema oft sehr persönlich genommen oder fälschlicherweise auf die Trennungssituation zurückgeführt. Dabei ist es eine normale Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen sich mehr für Gleichaltrige zu interessieren und sich von Eltern zu distanzieren.
    Dazu kommt, dass Kinder und Jugendliche insbesondere in dieser schwierigen Zeit Lebensräume brauchen, die nicht belastet sind durch die Trennungsgeschichte. Dass sie gerne in andere, unbelastete Lebensbereiche flüchten, ist eigentlich nur verständlich.
  • Kinder brauchen in dieser Zeit (noch mehr als sonst) weitere Bezugs- und Vertrauenspersonen, die für sie da sind. Kinder geraten sehr schnell in einen Loyalitätskonflikt zwischen die Eltern. Dies selbst dann, wenn sich die Eltern einvernehmlich trennen. Es ist schwierg mit den eigenen Eltern über ihre Wut oder Ängste zu sprechen. Dafür braucht es eine „neutrale Person“, die einfach nur zuhört und nicht gleich Partei für den einen oder anderen Elternteil ergreift. Die Haltung „ich verstehe dich…“ , „ich interessiere mich dafür, wie es dir im Moment mit dieser Situation geht…“ kann sehr wertvoll sein. Unabhängig davon, ob ein Kind darüber sprechen will oder nicht, schon nur die Gewissheit, dass es weitere Bezugspersonen gibt, die einfach da sind, kann schon die Angst vor Beziehungsabbrüchen nehmen und das Kind insgesamt stärken. Zudem könnten „neurale“ Bezugspersonen bei Konflikten (vgl. Beziehungsdynamik oben) für die Kinder und die Eltern wichtige „Übersetzungsarbeit“ leisten.
  • Trennen sich Eltern von Kleinkindern, so stehen diese in vielerlei Hinsicht vor einer besonders schwierigen Situation. Insbesondre da es beiden Eltern oft an Sicherheit und Erfahrung in Fragen der Erziehung fehlt. Dies macht dann auch die Abstimmung zwischen den Eltern besonders schwierig. Zudem sind beide Elternteile einzeln oft sehr belastet mit den elterlichen Aufgaben und den gesellschaftlichen Herausforderungen Kinderbetreuung, finanzielle Sicherheit / Beruf usw. unter einen Hut zu bringen. Diese Familien brauchen oft gezielte Unterstützung und Entlastung.

Trennung und Scheidung VI

Was in dieser schwierigen Zeit auch noch helfen

kann:

  • Die Unterscheidung zwischen den Erwachsenen als Paar und als Eltern. Um sich das besser vorstellen zu können, hilft den Kindern, aber auch den Eltern, eine einfache Visualisierungsaufgabe: Wählen Sie für sich als Frau / Mann ein Tier aus. Welches Tier wäre ich als Frau / Mann?
    Und dann: Welches Tier würde das Kind für mich als Mama / Papa wählen? Durch die unterschiedliche Tierauswahl wird deutlicher, dass wir zwischen unserer Rolle als Elternteil und unserem Befinden und unseren Handlungen als Mann / Frau unterscheiden müssen.

    Ein Beispiel:
    Luana wählte beispielsweise für ihren Vater einen Bären, weil der Bär so stark sei, sie beschütze und gerne mit ihr kuscheln würde. Der Vater wählte für sich als Mann den Elefantenbullen. Der Bär wird immer der Bärenpapa bleiben und gerne mit seinem Kind schmusen und spielen, aber der Elefantenbulle hat sich entschieden, dass er von Zuhause auszieht, weil er mehr Freiheiten braucht… Mit solchen Tier- oder Figuraufstellungen können auch sehr gut unterschiedliche Wahrnehmungen gezeigt werden. So sieht der Bruder von Luana im Vater nicht den Bären sondern einen Löwen, da er gerne mit ihm kämpfe… Und manchmal zeigt der Papa auch eine Krokodils-Seite, dann werde er bissig gegenüber der Mama…
  • Trennung und Scheidung ist ein Übergang und immer ein Prozess:
    Altes (Familienrituale, gemeinsame Zeiten, evt. auch das alte Zuhause, …) muss verabschiedet werden, Neues muss sich entwickeln.Übergänge brauchen Zeit! Man kann nicht einfach Altes mit Neuem ersetzen. Es braucht Raum und Zeit um sich vom Alten lösen und Verabschieden zu können. Oft weiss man zu Beginn noch nicht, was am Ende wirklich das Beste ist. In einer Trennungssituation sollte man sich und den Kindern auf jeden Fall Zeit lassen, herauszufinden, wie es werden soll. Auch verschiedene Möglichkeiten oder Formen (z.B. Wohnsituation, Besuchsregelungen,…) sollten ausprobiert werden. Eine hilfreiche Haltung ist: Offen bleiben für Entwicklungen bzw. Veränderungen.
  • Kinder sollen sich äussern und mitsprechen dürfen. Eltern sollten (immer) die Wünsche und Vorstellungen ihrer Kinder kennenlernen. Vielleicht sind diese Wünsche auch widersprüchlich und im ersten Moment unrealistisch, dennoch ist wichtig zu erfahren, was die Bedürfnisse der Kinder sind. Gemeinsam soll ein Weg gefunden werden, diese Bedürfnisse in den Prozess einfliessen zu lassen. Darin liegt nicht nur ein Grundrecht der Kinder, sondern auch ein grosser Vorteil, denn Kinder und insbesondere Jugendliche übernehmen für Entscheidungen, bei denen sie mitsprechen durften auch mehr Verantwortung.

Trennung und Scheidung VII

Dazu ein Beispiel:
Herr S. und Frau S. sind beides sehr engagierte Eltern, die beide nach der Trennung ihre Kinder möglichst oft sehen möchten. Rasch finden die beiden Eltern eine gute, einvernehmliche Lösung.

Trotzdem die Eltern sich nach ihren Angaben freundlich und einvernehmlich getrennt haben und eine gute Lösung für die Kinder gefunden hätten, suchen sie die Beratung auf, da die zwei 10 und 13 jährigen Kinder sich nicht an die Abmachungen der Eltern halten würden und immer gerade dann, wenn sie beim Vater sein sollten, lieber bei der Mutter wären und umgekehrt.

Es komme somit immer wieder zu einem riesen Krach und Drama, welche öfters in einer Verweigerungshaltung ende. Im gemeinsamen Familiengespräch stellt sich rasch heraus, dass das Hauptproblem nicht die Besuche beim anderen Elternteil ist, sondern daran liegt, dass die Eltern (wohl in ihrem Bestreben das Beste für die Kinder zu wollen), die Kinder in den Prozess der Entscheidungen gar nicht miteinbezogen haben.

Es ging darum, einmal anzuhören, was die Kinder überhaupt wollen und wie sie sich das weitere Familienlieben und die Kontakte vorstellen würden. Wenig erstaunlich war, dass diese Vorstellungen gar nicht so sehr von denen der Eltern abwich, die Kindern nun aber „Mitsprechen“ durften und dann auch verantwortungsvoll hinter den gemeinsam gefällten Entscheidungen stehen konnten.

Die Besuche klappten in Zukunft ohne weitere Probleme.

  • Es ist wichtig, dass Eltern in dieser schwierigen Zeit einen Raum für sich selber und die eigene Gefühlsprobleme und Verletzungen suchen, damit die Eltern-Kind-Beziehung nicht darunter leidet.
    Je besser es Mama und Papa geht, umso besser geht es den Kindern – diese Devise gilt in einer Trennungsphase noch mehr als sonst!
  • Wenn Eltern das Beste für ihre Kinder wollen, dann sollten sie sich (unabhängig vom Familienstand) gegenseitig unterstützen, der bestmöglichste Elternteil für die gemeinsamen Kinder zu sein. Das bedeutet, dass man nicht nur die eigenen Kinder unterstützt eine gute Beziehung zum anderen Elternteil zu finden, sondern auch beachtet, was man selber dazu beitragen kann, dass der Vater bzw. die Mutter der gemeinsamen Kinder die Rolle als Elternteil möglichst gut erfüllt und die Eltern-Kind-Beziehung qualitativ gut ist. Wenn ein Elternteil den anderen Elternteil abwertet, seine Rolle hinterfragt oder die finanzielle Grundlage zu Gunsten eigener Vorteile untergräbt, schadet man damit v.a. den eigenen Kindern.
  • Eltern treffen sich während oder nach der Trennung regelmässig und reden über die eigene Rolle und die Rolle des anderen Elternteils. Hilfreich kann es sein, gewisse Regeln zu vereinbaren und einen neutralen Ort (z.B. ein Restaurant) aufzusuchen. Regeln: Es geht um uns als Eltern und die Kinder, es geht nicht um Vergangenes…

Abschliessend soll festgehalten werden, dass Scheidungen nicht zwangläufig zu einer Überforderung oder Krise führen muss. Scheidung ist IMMER auch eine Entwicklungsmöglichkeit für die ganze Familie.

Und in manchen Fällen kann eine Scheidung sogar zur Entlastung in einer sehr belasteten (z.B. gewaltbesetzten) Situation beitragen.