In meiner Erfahrung als Mutter, als Familientherapeutin und Erziehungsberaterin habe ich festgestellt, dass in der Kindererziehung einer der grössten Erziehungsprobleme darin liegt, dass wir zu hohe Erwartungen an uns als Eltern und oft auch an unsere Kinder haben.
Bin ich eine gute Mutter? Diese Frage wird gestellt, wenn es mal nicht so läuft, wie erwartet. Und wie so oft in Beziehungen: Erwartungen können Gift für die Beziehungsqualität sein. Oder in den Worten von Goethe:
Gespannte Erwartung wird selten befriedigt
(Johann Wolfgang von Goethe)
Die hohen Erwartungen an uns und unsere Kinder kommen wohl daher, dass wir es in der Kindererziehung möglichst gut machen wollen. Und tatsächlich ist meine Erfahrung, dass die Eltern immer (da gibt es wirklich nur ganz wenige Ausnahmen) das Beste für ihr Kind wollen.
Wir haben konkrete Vorstellungen, wie wir unsere Kinder erziehen möchten und wie unsere Kinder sein sollten. Das ist auch grundsätzlich nicht schlecht, das Problem dabei scheint aber zu sein, dass wir in diesen Vorstellungen und Ansprüchen unsere eigenen Unzulänglichkeiten und die weniger wünschenswerten (gleichzeitig aber oft auch sehr wichtigen) Seiten unserer Kinder zu wenig berücksichtigen.
Dazu kommt, dass wir unsere Erziehungsziele oft auch eher zu hoch stecken. Ziele haben es zudem an sich, dass sie in der Zukunft liegen – also ein Soll-Zustand sind.
Der aktuelle Zustand, der Ist-Zustand wird damit fast zwangsläufig als minderwertig, noch nicht gut genug und anstrengend erlebt.
Das führt dazu, dass es uns Eltern oft schwer fällt die jetzige Situation einfach so anzunehmen wie sie ist. Dabei geht es genau darum: Annehmen und Aushalten!
Jetzt mal konkret
Nun, das bisher Gesagte kommt etwas gar theoretisch und philosophisch daher. Daher mal etwas konkreter.
Als Mutter werde ich täglich mit der Erfahrung konfrontiert, dass irgendwas (oder vieles) nicht so klappt, wie ich es mir wünsche: Die Kinder streiten schon wieder, ich muss drei Mal sagen, dass sie sich anziehen sollen, die Jacke liegt schon wieder einfach auf dem Boden, das Kinderzimmer ist nicht aufgeräumt, …
Warum schaffe ich es nicht meine Erziehungsziele umzusetzen?
Bin ich eine gute Mutter?
Wir haben doch bestimmt schon 100 mal darüber gesprochen, wo die Jacke hingehört und bereits alles mögliche ausprobiert, dass das mit der Jacke aufhängen endlich klapp. Liegt es an mir? An meiner Erziehung? Liegt es am Kind? … Mein Ärger ist letztlich auch Ausdruck meiner Hilflosigkeit.
Eine neue Erziehungsmethode muss her! Ich muss wohl noch strenger werden!? Aber eigentlich gefällt es mir gar nicht, ständig nur Polizistin zu spielen. Eigentlich will ich nicht immer nur nörgeln und rumkommandieren…
Die vielen Erziehungsaufgaben und das ständige Dransein müssen, nehmen manchmal so viel Energie in Anspruch, dass die Beziehung zum Kind und die guten Moment einfach überlagert werden und kaum mehr wahrgenommen werden. So sollte es definitiv nicht laufen!
Wie geht es Ihnen damit?
Wie wohltuend ist da das Gespräch mit der Freundin, Mutter zweier Kinder, der es nicht anders geht.
Nachdenklich stimmt mich ihre Aussage, dass sie genau darum all die guten und gutgemeinten Erziehungsratgeber weglegt.
„Die berichten immer nur, was man tun muss, damit es klappt, und was man alles erreichen könnte, wenn man das oder jenes machen würde… Kaum je kann man lesen, dass es einfach manchmal nicht klappt, oder dass es manchmal auch einfach viel Geduld braucht, bis sich etwas verändert.“
Zu viele Ratschläge sind verwirrend
Mir leuchtet sofort ein, dass wenn ich einen Ratgeber nach dem anderen lesen würde, dies unglaublich verwirrend sein kann.
Verwirrend für mich als Mutter, weil ich kaum mehr auf meine eigene Intuition und mein Gespür für das Kind sensibilisiert werde.
Und verwirrend für das Kind, das schlimmstenfalls alle Woche eine andere Erziehungsmethode über sich ergehen lassen muss.
Bin ich eine gute Mutter? Wir vergleichen uns zu oft
Wir sprechen schliesslich darüber, dass wir oft sehr hohe Erwartungen an uns haben und dazu neigen, uns mit anderen Frauen bzw. Familien zu vergleichen… Und nach Aussen sieht noch vieles schön und gut aus…
Aber warum vergleichen wir uns eigentlich ständig? Psychologische Theorien würden erklären, dass wir durch solche Vergleiche unseren Selbstwert aufbauen, also uns selber stärker und selbstsicherer fühlen möchten.
Wir neigen scheinbar dazu, uns gerne mit anderen zu vergleichen, denen es schlechter geht, somit haben wir das Gefühl, dass es uns besser geht… Das ist wohl aber nur die halbe Wahrheit. Wir können ja nicht vermeiden uns auch mit anderen zu vergleichen, denen es gut oder (scheinbar) sogar besser geht.
„Schau mal, dieses 6jährige Kind spielt bereits Klavier wie ein Gott!“ „Oh, der kleine Max ist erst zwei Jahre und bereits trocken“ „Meine Kinder streiten nie!“ „Also meine Tochter ist auch 13 Jahre und würde mir nie widersprechen!“ …
Wenn das Kind unsere Erwartungen nicht erfüllt…
Oh ja, ich kenne das Gefühl gut, wenn meine Kinder gerade im öffentlichen Raum einfach herrlich schwierige Kinder sind:
Meine Tochter, die einen Trotzanfall hat und überhaupt nicht gehorcht, gerade jetzt, wo fremde Menschen anwesend sind. Was wenn mich jemand kennt und dann noch weiss, dass ich Kinder- und Jugendpsychologin und Erziehungsberaterin bin!?
Entweder bin ich in so einer Situation wahnsinnig gestresst und letztlich wütend auf mein Kind oder mich, weil ich die Kleinen angeblich „nicht im Griff“ habe.
ODER ich stehe zu meiner Unzulänglichkeit, meinen Fehlern, lasse mein Kind Kind sein und nehme es gelassen. Ehrlich gesagt, geht es mir und meinen Kindern besser, wenn ich (auch öffentlich) dazu stehe, dass ich manchmal überfordert bin und nicht immer alles im Griff habe!
Es ist anstrengend!
Jedenfalls veranlasst mich dieses wertvolle Gespräch mit meiner Nachbarin einmal mehr über meine Erziehungsberatungen nachzudenken und diesen Blogtext zu schreiben.
In meinen Beratungssitzungen gehe ich manchmal so weit, dass ich aus eigener Erfahrung mit meinen Kindern spreche und dabei sehr offen gestehe:
Kinderhaben und Erziehen ist sehr streng und ja, auch ich fühle mich manchmal überfordert!
Wir dürfen und müssen uns eingestehen, dass wir Fehler machen und unsere Begrenzungen haben. Damit sind wir auch ein wichtiges Vorbild für unsere Kinder.
Ich bin keine Super-Mama und auch wenn ich noch soviel über Erziehung weiss! Denn das heisst nicht, dass mir alles immer gelingt, oder dass meine Kinder sich so verhalten, wie ich mir das vorstelle.
Im Gegenteil, ich erlebe immer bewusster, dass meine Kinder oft ganz anders reagieren und anders sind, als ich mir das vorstelle oder von Fachbüchern erfahren habe. Sie verhalten sich (genau so wie ich auch) NICHT PERFEKT. Und das ist absolut gut so!
Ich bin allen Kindern sehr dankbar, dass ich von ihnen so viel lernen kann. Oft erscheinen mir meine Erziehungsvorstellungen und die Erwartungen an mich und sie so läppisch im Vergleich zu dem, was Kinder bieten, wenn ich mich auf sie einlasse und ich ihnen mehr vertraue.
Meine wichtigsten Botschaften an Sie:
- Verwerfen Sie den Glauben perfekt sein zu müssen!
- Lernen Sie auszuhalten und schwierige Seiten von sich, den Kindern oder dem Partner anzunehmen!
- Lehnen Sie sich auch mal in den schwierigsten Situationen zurück und betrachten die Situation von Aussen – ein sehr grosses Problem kann dann auf einmal weniger wichtig erscheinen!
- Denken Sie über Ihre eigene Erziehung nach. Hilfreiche Fragen dazu finden Sie in hier 20 Fragen für ein bewusstes Erziehen.
- Vergleichen Sie sich weniger mit anderen Menschen. Nach Aussen sieht vieles perfekter aus als es ist. Suchen Sie sich lieber Freunde mit denen Sie sich offen über Ihre Probleme austauschen können.
- Seien Sie vorsichtig mit zu hohen Erwartungen und unrealistischen Vorstellungen. Fokusieren Sie nicht nur auf das was noch nicht geht sondern achten Sie viel mehr auf das was schon geht. Achten Sie nicht nur auf Fehler und Probleme sondern auf die (kleinen) Erfolge und Fortschritte.
- Jede Mutter, jeder Vater und jedes Kind (jeder Mensch!) hat Stärken und Schwächen. Unzulänglichkeiten gehören zu uns Menschen!
- Humor ist unglaublich hilfreich. Lachen Sie auch mal über sich oder die nicht ganz so perfekten Seiten Ihrer Kinder.
- Kinder grossziehen heisst auch erziehen. Das ist ganz schön anstrengend – für ALLE! Sind Sie nicht nur Erzieherin oder Erzieher, sondern geniessen Sie die einmalige Beziehung zu Ihrem Kind. Sehen Sie wie Ihr Kind Sie liebt?
Bin ich eine gute Mutter?
Im Artikel Bitte nicht ganz so perfekt – Scheitern gehört dazu! erfahren Sie mehr, warum es sowohl für Kinder wie auch ihre Bezugspersonen sogar unglaublich wichtig ist, Fehler machen zu dürfen.
Ihre
Sara Michalik
Foto:© HaywireMedia
pixabay.com
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