Warun Kinder spielen„Wenn ein Kind einmal nicht isst, so ist das für die meisten Eltern ein Anlass zu großer Sorge. Wenn ein Kind aber nicht richtig spielt, dann wird das häufig gar nicht bemerkt. Dabei ist letzteres meist ein viel ernsteres Alarmzeichen“

Virginia M. Axline, berühmte amerikanische Kinderpsychologin

Wenn Kinder spielen ist das nicht einfach nur ein „Kinderspiel“.

Spielen ist eine unglaublich wertvolle Ressource, die Erholung, Arbeit, Lernen und Spass in einem bedeutet. Gesunde Kinder spielen aus sich heraus und benützten dazu das, was sich in ihrer Umgebung gerade so anbietet.

Sie verzaubern harte Realität mit Fantasie, erfüllen im Spiel ihre heimlichen Wünsche und üben fürs ganze Leben.

Dieser Artikel ist eine „Liebeserklärung“ an das Spiel.

Der Artikel soll Eltern darin bestärken ihren Kindern möglichst viel freie Spielzeit zu ermöglichen (denn das ist die intensivste Lernzeit!), und sie ermutigen möglichst auch mit ihren Kindern zu spielen.

„Spielen bereitet Kinder auf das Leben vor“

Zimpel, 2014, aus Spielen macht schlau!*



Spielen als Kompetenzaufbau

Kinder eignen sich während dem Spielen wichtige Fähigkeiten an. Hier sind nur einige wenige aufgezählt:

  • Regelverständnis: Man muss sich an Regeln und Abmachungen halten, sonst funktioniert das Spiel nicht.
  • Frustrationstoleranz: Wenn ich verliere ist das frustierend. Verlieren muss gelernt werden.
  • Impulskontrolle: Ich muss lernen mein Verhalten zu kontrollieren und steuern.
  • Handlungsplanung bei Strategiespielen.
  • Toleranz und soziale Kompetenz bei Gesellschaftsspielen.

Ein spannender Artikel zum Thema Siegen und Verlieren beim Spielen finden Sie hier: Spiele – Sieger, Verlierer und das Leben (Beobachter.ch)

Natürlich kann man mit einem bewusst gewählten Spiel auch ganz gezielt eine Fähigkeit bei einem Kind fördern. Z.B. die Steuerung der Impulskontrolle und der Aufmerksamkeit mit einem Halli Galli* oder die Gedächtnisleistung mit Memory*Die Frustrationstoleranz üben kann man bei einem Eile mit Weile – Familienspiele* oder das visuell-räumliche Wahrnehmen und Vorausplanen trainieren beim Vier gewinnt* Denkspiel.

So empfehle ich Eltern gerne passende Spiele wenn sie mich fragen, wie sie eine bestimmte Kompetenz bei ihrem Kind fördern könnten.

Wichtig ist aber, dass nicht jedes Spielen instrumentalisiert wird, denn ein Kernelement beim Spiel ist, dass Kinder das tun können, wonach sie gerade Lust haben und sie ihre intrinsische Motivation treibt.

Spielen bedeutet zuallererst mal frei sein von den Ansprüchen des Lebens.

Beim Spielen erleben daher die meisten Kinder auch ein Flow-Erlebnis.

Das heisst sie sind ganz und gar versunken, vergessen dabei die Zeit und sind gleichzeitig aber auch hoch konzentriert und motiviert dabei. Gerade dieser Flow-Zustand macht das Spiel so wertvoll.

Einige Forscher, darunter auch Prof. Dr. A. F. Zimpel (vgl. empfohlenes Buch) gehen davon aus, dass der Mensch einen angeboren Spieltrieb haben.

Dieser Spieltrieb äussert sich als Drang und im Vergnügen an spielerischen Beschäftigungen. Spielen ist also ein menscheneigenes Bedürfnis. Ein Bedürfnis, dass nach nichts anderes drängt als nach dem Spiel selber – ohne einen besonderen Gewinn zu erzielen.

Und gleichzeitig gewinnt der Mensch so viel durch das Spiel.


 


Warum  Kinder spielen?

Spielen ist für mich als Kindertherapeutin eine der wertvollsten Therapieformen überhaupt! Daher gehört es auch zu einem meiner therapeutisch-pädagogischen Hauptanliegen die Eltern (wieder) mehr dazu zu bringen, mit ihren Kindern zu spielen.

Wenn wir Kinder beim Spielen zuschauen, erfahren wir viel über sie und ihr Weltverständnis. Wenn wir uns mit ihnen abgeben und uns auf die Welt des Spiels einlassen, investieren wir in eine gesunde Entwicklung des Kindes und in eine tragfähige und enge Beziehung.

Beispiele aus der Praxis:

Ich (Therapeutin) habe von der sechsjährigen V. die Rolle eines Delfinkindes (als Schleichtier) zugeschrieben bekommen. Nach einem herrlichen Versteckenspiel mit meinen Delfineltern (gespielt durch V.) im Meer (dargestellt mit Tüchern, Muscheln usw.) verschwindet mein Delfin-Papa plötzlich. V. macht mich darauf aufmerksam, dass der Papadelfin gestrandet sei und nun bewegungslos im Sand liegt (die Spielfigur liegt ausserhalb des blauen Tuchs).

Ich Delfinkind schwimme hilflos am Ufer entlang, kann meinem Papa nicht helfen und muss zusehen wie dieser zuckend am Strand liegt. Wer kann mir helfen? Hilfe, wer hilft mir, wer hilft meinem Papa? Ich rufe ängstlich nach der Delfinmama.

Aber das Mädchen sagt: Die Delfinmama kann auch nicht helfen, die hat das gar noch nicht mitgekriegt, die ist weg. Ob ich (Delfinkind) sie suchen könnte, damit sie mir hilft…? Nein, das geht nicht, sie ist jetzt weg. Ich schwimme als Delfinkind hilflos am Strand hin und her und drücke laut verbalisierend meinen Kummer und meine Sorge aus.

Das Kind leitet mich an, dass ich nichts anderes tun kann. Nach einer mir unendlich vorkommenden Zeitspanne, bangen Minuten ohne zu wissen wie es weitergeht und wie es dem Papadelfin wohl geht, kommt endlich die Delfinmutter. Diese weiss, wo sie Hilfe bekommt. Handelt schnell, holt das Fischerboot … Der Papadelfin wird gerettet, aber es ist noch nicht klar, ob er es überleben wird…

Dieses dramatische Kinderspiel, ist nicht nur ein Spiel, es ist die Realität der sechsjährigen V., die wenige Wochen vor diesem Spiel miterlebte, wie ihr Papa nach einem Herzinfarkt im Badezimmer Zuhause zusammenbrach. Zum Zeitpunkt dieses Spiels war noch nicht sicher, ob und wie der Papa wieder gesund wird…

 

Natürlich und zum Glück ist nicht jedes Rollenspiel derart dramatisch, wobei man aber durchwegs beobachten kann, dass Kinder mit einer unglaublichen Ernsthaftigkeit spielen.

Denn das Spiel der Kinder ist von sehr grosser Bedeutung und es geht um viel mehr als um einen reinen Zeitvertreib.

Warum spielen Kinder Im Spiel wird Erlebtes verarbeitet – manchmal auch über viele Spielsequenzen hindurch „durchgearbeitet“. Dadurch können schwierige Erfahrungen verarbeitet werden und manchmal auch spielerisch nach neuen Möglichkeiten und Lösungen gesucht werden.

So hat beispielsweise ein ängstliches Kindergartenkind immer und immer wieder mit mir (bzw. mir als Plüschente, sie als Plüschkatze) Schule gespielt, bis sie sich genügend vorbereitet fühlte für den ersten Schultag. So haben wir gemeinsam mögliche Schulerfahrungen (Schulweg gehen, Trennung von der Plüschkatzenmama, Kennenlernen anderer Plüschtierschüler,…) gesammelt, verschiedene Verhaltensmuster durchgespielt und emotionale Erfahrungen durchlebt.

Das Kind erlebt im Spiel eine Kontrolle über die belastend erlebte Situation. Es kann sich  langsam an die unangenehm oder gar traumatisch erlebte Situation heranwagen. Es kann dabei auch aktiv Situationen umändern, schöner oder noch dramatischer gestalten.

Warum  Kinder spielen?

Rollenspiele und Symbolspiele als Üben und Verarbeiten aus der sicheren Distanz

Im Symbolspiel (So-tun-als-ob) können schwierige Situationen auf eine äussere Bühne externalisiert werden und verfremdet dargestellt werden. Dieses So-tun-als-ob gibt eine sichere Distanz. Der eigene Gefühlszustand wird einer anderen Spielfigur zugeschrieben (nicht ich bin ängstlich, sondern die kleine Maus).

Im Spielen sind Kinder mit ihrem seelischen Befinden und Innenleben im engen Kontakt.

Im Spiel kann eine neue Rolle eingeübt werden. Endlich darf das schüchterne Mädchen einmal die dominante Prinzessin sein, der brave Junge wird zum bösen (oder guten) Piraten. Das Spiel erfüllt dabei ein Wunschdenken und dient einer Selbstwertsteigerung und Selbsterhöhung. Viele Kinder wählen gerne Spiele in denen sie sich wirksam und mächtig erleben. Sie bevorzugen Helden- und Prinzessinnenrollen.

Dazu kommt, dass dabei auch tatsächlich neue Verhaltensweisen eingeübt werden können, ohne negative Folgen fürchten zu müssen.

Im Ausleben der Rolle muss ein neues Verhalten gezeigt werden: Ein wirklich stolzer Ritter kann nur der sein, der auch im aufrechten Gang herumstolzieren kann.

Spielen ohne Bedenken

Häufiger höre ich von Eltern, dass sie Bedenken haben, wenn ihre Kinder (v.a. die Söhne, da diese eine besondere Faszination für diese Spielformen haben) eher aggressive Rollen spielen. Natürlich stehe auch ich nicht jedem Spielverhalten unbedenklich gegenüber.

Am meisten Sorgen bereitet mir allerdings (wie V. Satir zu Beginn des Artikels) wenn ein Kind gar nicht mehr spielt. Ich erkläre den Eltern, dass besonders Jungs gerne actionreiche Spiele spielen, dass sie sich gerne messen wollen und es ihrem Selbstwertgefühl gut tut, wenn sie eine selbstwirksame, starke Figur, einen unbesiegbaren Helden spielen dürfen.

Kämpfen gehört doch auch zum Leben dazu – warum unseren Kinder die spielerische Auseinandersetzung mit der Realität verbieten?

Bedenklich stimmt mich das aggressiv-wirkende Spielverhalten erst dann, wenn es nur noch zerstörerisch ist, wirklicher Schaden entsteht und nicht mehr zwischen „gut und böse“ unterschieden werden kann.

Die meisten Kinder wissen sehr gut, wo die Grenzen sind. Sie würden mich als Gegenüber nie wirklich verletzten.

Die meisten Kinder geben mir gerne die gegnerische, schwächere Rolle (ich bin dann deutlich unterlegen, habe weniger oder schwächere Kämpfer, schlechtere Waffen,…), zumeist werde ich spielerisch aber nur „verletzt“, die absolute Vernichtung ist nicht das Ziel.

So erleben die Kinder sich selber als wirkmächtig und stark. – Es ist doch eigentlich sehr gesund, dass man sich selber als wirksam und stark wahrnehmen möchte.

Wenn ich dem Kind diese starke, wirkmächtige Rolle zugestehe und sie nicht schwach mache oder unterordne, dann sind die meisten Kinder auch bei einem kriegerischen, kämpferischen Spiel bereit auch mit mir zusammen gegen einen bösen Aussenfeind – zum Beispiel um die Welt zu retten –  zu kämpfen oder auch schwächere oder verletzte Wesen zu retten, schützen oder gar verpflegen.

Warum  Kinder spielen?

Rollenspiele als Nachahmungslernen und intensive Körpererfahrung

Ein weiteres Beispiel macht sehr schön deutlich, dass Kinder im Spiel nicht nur Verarbeiten, sich messen, ihren Selbstwert aufbauen, sondern auch noch neue Erlebensmöglichkeiten aufbauen:Warum spielen Kinder

Die 3-jährige Hanna will mit ihrer Puppe genau dasselbe Mami spielen wie ihre Mutter mit der jüngeren Schwester. Sie trägt die Puppe die ganze Zeit mit sich herum, verlangt sogar ein Tragetuch, spielt, dass sie die Puppe beruhigen muss, weil sie weint und gibt ihr ihre Brust…

Durch dieses Spiel werden aufgrund von Lernen am Modell neue Erlebensweisen erfahrbar gemacht und später wieder erinnert bzw. gelernt. Es stellt zudem eine höchstmögliche Nähe zur Mutter – das Erfahren wie die Mutter etwas erlebt – her.

Gerade unsichere und ängstliche Kinder können im Spiel wunderbar neue Erfahrungen sammeln und auch etwas erleben, dass sie evt. real noch nie erlebt haben.

Sie dürfen das mutige, stolze Tier sein, dass alles bereits beherrscht und tapfer vorausspringen. Durch diese spielerische Erfahrung erleben sie Erfolgserlebnisse und üben wie es gehen könnte. Entwicklungsschritte werden dadurch freigemacht.

Sehr wertvoll ist dabei das Rollenspiel, da diese Erfahrung und Übung eine direkte Körpererfahrung ermöglich.

Spiel als Kompetenzaufbau im sozialen Bereich

Im Spiel mit anderen Kindern erfahren die Kinder ein direktes Feedback. Sie erleben vielleicht, dass das andere Kind ebenfalls die Hauptrolle spielen möchte und so müssen sie einen Kompromiss bilden.

Direkt ist aber auch das Feedback, wenn der vom anderen Kind gespielte Hund nicht wirklich gehorchen will. Was muss ich tun, dass er besser gehorcht? Hier zeigen Kinder oft das Verhaltensrepetoir ihrer Eltern wieder. Modelllernen kommt auch hier zum Ausdruck.

All dies tun Kinder freiwillig, unbewusst und mit einer unglaublichen Kreativität und Hingabe.

Und wenn wir Eltern uns auf ihr Kinderspiel und ihre Spielangebote einlassen, dann erhalten wir direkten Zugang zu ihnen, und wir können erfahren, wie es unserem Kind geht.

Leider erlebe ich aber oft, dass viele Erwachsenen und Eltern Mühe haben, sich auf das Spielen ihrer Kinder einzulassen. Wenn, dann am ehesten noch auf ein Regel- oder Brettspiel.

Natürlich, dass ist besser als nichts. Wenn Sie aber noch ein Kind haben, dass altersentsprechend noch gerne ein Rollenspiel spielt, lassen Sie sich von Ihrem Kind in diese Welt einführen. Legen Sie Ihre Hemmungen, Blockaden ab.

Denken Sie nicht so viel nach und seien Sie mutig. Tun Sie es einfach! Erleben Sie! Fragen Sie Ihr Kind, was Sie jetzt tun sollen. Ihr Kind wird Sie schon führen! Und es ist auch ok, wenn das Kind im Spiel mal die Führung übernimmt. – Viele Kinder geniessen es sehr, wenn sie im Spiel mal sagen dürfen, wo es langgeht.

Es ist normal und eigentlich auch logisch, dass die Kinder dann gerne die dominante, starke Rolle übernehmen und uns Erwachsenen mal eine (oft ihre eigene) schwächere Position übergeben.

Wichtig ist dabei, dass Sie die Rolle voll übernehmen. Also wirklich einen Hund auf allen vieren Spielen und nicht halbherzig herumblödeln.

Falls Ihnen dies nicht gelingt, dann lassen Sie es lieber sein. Sobald Sie sich aber Ihrer Rolle sicherer sind und diese ausfüllen, können Sie auch stärker und aktiver das Spielgeschehen mitprägen und so eine wunderbare Zweisamkeit oder bei mehreren Kindern natürlich auch eine erweiterte Beziehungsinteraktion erleben.

Warum  Kinder spielen?

Dieses Filmbeispiel macht deutlich, warum Spielen für Kinder so wichtig ist:

http://www.kindergesundheit-info.de/infomaterial-service/filme/spielen/

Ihre

Sara Michalik