Warum Kinder streitenHaben Sie Geschwister?

Wie war das damals, als Sie noch ein Kind waren, haben Sie sich oft gestritten?

Dies sind meine zwei Standardfragen, wenn mich Eltern in einem Beratungsgespräch Fragen: Warum Kinder streiten und wenn sie mir berichten, wie heftig ihre Kinder das tun. Manche Eltern wenden sich mit diesem Thema an mich, weil sie sich Sorgen machen, ob die Häufigkeit und Intensität noch normal sei. Andere weil sie dermassen genervt sind über das ewige Gezanke ihrer Kinder, dass sie kaum mehr wissen, wie sie ruhig damit umgehen können.

Warum Kinder streiten?

Als Mutter von drei lebhaften, streitfreudigen Kindern habe ich grosses Verständnis für beide Reaktionsweisen der Eltern, die genervte und die besorgte.

In der Beratung treffe ich dieses Thema sehr häufig an. Und es ist klar: Streitende Kinder können dem Familienzusammenleben viel Energie und Freude kosten.

Wie so oft in der Erziehung und Begleitung von Kindern hilft es mir zu wissen, wie wichtig Streiten für Kinder und ihre Entwicklung ist.

Warum Kinder streiten?

Es gibt einige Gründe, warum Kinder streiten. Und oft lässt es sich gar nicht so klar ausmachen, was der Grund für einen Streit ist.

Als Eltern und erwachsene Bezugspersonen sollten wir uns auch selber fragen, was das Streitverhalten der Kinder mit uns bzw. unserem Vorbildverhalten oder unserem Verhalten den Kindern gegenüber zu tun hat.

Wichtige Fragen hierbei können sein:

  • Wie oft und WIE streiten wir als Eltern?
  • Gibt es Themen, welche unsere Familie unterschwellig belasten und Spannungen aufbauen unter denen die Kinder leiden?
  • Bevorzuge bzw. benachteilige ich ein Kind?
  • Wie reagiere ich, wenn die Kinder streiten?

Neben der Selbstreflexion auf der Erziehungsebene macht es auch Sinn über die Funktion von Streit bzw. dessen Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes nachzudenken. Für die Selbstreflexion haben wir 20 Fragen für Sie vorbereitet.

wie erziehe ich mein kind richtig I

 

20 Reflexionsfragen für ein bewusstes Erziehen

 

Warum Kinder streiten? – Funktionen von Streit

  • Es gehört zur Natur des Menschen, sich zu messen und zu vergleichen. Rivalität gehört genauso zum Menschsein dazu wie Freundschaft. Zu kämpfen und zu gewinnen, dient dem Überleben und liegt in unseren evolutionären Wurzeln.

    Unsere Vorfahren sicherten damit ihr Überleben. Auch wenn es vielleicht heute nicht mehr so direkt notwendig ist, sich im Kampf zu beweisen, so kann ich durch Rivalitätskämpfe dennoch meine Position festigen und meinen Selbstwert steigern.

    Kinder lieben Wettkämpfe und Wettbewerbe. Sie wollen sich messen, wollen gewinnen, wollen der Schnellste, der Stärkste, der Beste sein. Das ist doch im Prinzip eine wundervolle Anlage: Das Beste aus sich rauszuholen!
    Wenn das jedoch zwei oder drei Kinder gleichzeitig wollen, dann kommt es zu Konkurrenzkampf und dann wird es nicht nur Gewinner geben.

    Zu Gewinnen heisst, dass ich meinen Selbstwert aufbaue; ich darf Stolz auf mich sein. Zu Verlieren bedeutet, dass ich lernen muss mit Frustration und Enttäuschung umzugehen.
    Im beiden Fällen lernen die Kinder bei solchen Rivalitätsstreiten etwas! Es liegt in der Natur des Kindes, dass man nicht einfach so nachgibt, zurücktritt und dem anderen den Vortritt lässt. Das muss ein Kind zuerst lernen!
  • Und es ist auch gut so, dass Kinder sich messen und sich wehren. Sie üben damit sich durchzusetzen und zu behaupten. Es ist nachvollziehbar, dass wenn zwei Kinder Meinungsunterschiede haben und sich dem anderen Kind gegenüber behaupten oder durchzusetzen wollen, dies nicht einfach so harmonisch ablaufen kann.

    Kinder setzen die Verhaltensmuster ein, die sie kennen und beherrschen. Bei 4-jährigen zum Beispiel ist das dann oft ein aggressives Verhaltensmuster: Schlagen, Beissen, Wegreissen,… Sie beherrschen noch nicht viele andere Verhaltensmuster um sich zu wehren oder durchzusetzten (z.B. verbale Argumentation, Aushandeln,…).

    Und sie können ihre Emotionen noch nicht sehr gut kontrollieren. Sehr schnell zeigen daher Kinder in diesem Alter beim Streiten auch aggressive Verhaltensmuster.

In keinem anderen Lebensalter zeigt der Mensch so oft aggressive Verhaltensweisen wie im Kleinkindalter zwischen 2 bis 5 Jahren.

Andere Verhaltensmuster zu zeigen und die eigenen Emotionen (Wut, Ärger) zu regulieren, ist eine Frage der Reife und des Lernens bzw. der Erziehung!

  • Streit ist einer der intensivsten Interaktionsmöglichkeiten, die es gibt. Wenn Kinder streiten, muss das gar nicht heissen, dass sie einander nicht mögen. Ganz im Gegenteil! Im Streit spürt man sich und das Gegenüber sehr intensiv.

    Man ist in Kontakt, weiss genau was der andere mag – und eben auch, was er nicht mag. Ich konnte schon oft beobachten, dass Kinder vor allem auch dann Streit „suchen“, wenn sie mit dem anderen in Kontakt kommen möchten, aber nicht so recht wissen, wie sie das auf eine gute Art anstellen können.
    Vor allem auch dann, wenn sie nicht so recht wissen, was sie miteinander spielen können, vielleicht weil der Altersunterschied eine Hürde oder die Interessen zu unterschiedlich sind, suchen sie einen anderen Weg der Interaktion. Diese Tatsache, dass Menschen streiten, weil sie Aufmerksamkeit und Zuwendung suchen, findet man übrigens auch bei Erwachsenen.
    (Artikel Zoff: Was ist der Reiz am Streiten).

Warum Kinder streiten

Zusammengefasst kann man sagen, es geht um das Einüben wichtiger sozialer Erfahrungen und um das Erleben intensiver Interaktionen!

Und natürlich, oft geht es auch darum neue alternative Erfahrungen aufzubauen.

Streiten muss gelernt sein!

Interessanterweise kommen in meine Praxis immer wieder Familien mit Einzelkindern, die in der Schule massiv „unter die Räder kommen“. Oft entwickeln diese Kinder aus harmonischen und eher aggressionsgehemmten Familienverhältnissen grosse Ängste oder unerklärliche Körpersymptome wie Herzbeschwerden, Ohnmachtsanfälle (psychosomatische Reaktionen).

Immer wieder konnte ich zusammen mit den Eltern feststellen, dass ihre Kinder streiten lernen müssen. Sie müssen lernen sich durchzusetzen, sich zu wehren, sich etwas zu erkämpfen, nicht immer nachzugeben, nicht immer Verständnis zu zeigen.

Das bedeutet: Wenn wir unseren Kindern nur Sozialkompetenz im Sinne von „immer brav teilen“, „der Gescheitere gibt nach“, „Verständnis zeigen“ und so weiter mitgeben, dann werden sie in der „realen Welt“, d.h. in der Welt ausserhalb des Familienlebens, leiden und untergehen.

Wo also kann man besser lernen sich zu wehren, sich etwas zu erkämpfen und auch mal egoistisch zu sein um sein Ziel zu erreichen als in der sicheren Welt der Familie?

Dies kann bei Einzelkindfamilien gezielt gefördert werden durch viele Kontakte mit Gleichaltrigen, Cousinen oder auch mit Eltern, die nicht immer schön nachgeben.

Streit muss man aushalten können – vor allem als Aussenstehende

Im Gespräch mit Eltern und in der eigenen Erfahrung ist mir aufgefallen, dass wir Erwachsenen den Streit oft weniger gut aushalten als die Kinder selber.

Es ist laut und wir wissen, dass es oft mit Tränen endet. Also lieber früh genug eingreifen!?

Von Aussen gesehen hält man einen Streit oft schlechter aus, als wenn man selber emotional involviert ist und mitten im Streit steckt.

Als Beobachter steckt man nicht in den Emotionen, die grad raus müssen und nicht in derselben Betroffenheit. Daher ist es von Aussen gesehen auch schwieriger die Legitimität eines Streits nachzuvollziehen.

Besonders interessant finde ich, dass Kinder ihre Streite oft auch sehr lustvoll erleben. Oft ist es wie ein Spiel, sich gegenseitig zu provozieren und aufzuziehen.


Natürlich ist es zumeist nicht für beide gleich „lustig“, aber interessanterweise kann man doch sehr oft bei allen Kindern das Lustvolle am Streiten erkennen.
Streit ist wie gesagt eine intensive emotionale Auseinandersetzung, bei der man sich und den anderen intensiv spürt (vgl. oben).

 

Wie reagieren?

  • Halten Sie sich so lange wie möglich raus. Wo möglich entfernen Sie sich sogar aus dem Sichtbereich. Wenn es nicht gerade sehr grob oder gar gefährlich zu und her geht, lassen Sie die Kinder selber aushandeln.

    Wir können immer wieder beobachten, dass Kinder verantwortungsvoller miteinander umgehen wenn sie alleine sind als wenn Erwachsene in der Nähe sind, von denen sie erwarten, dass die dann schon eingreifen werden. Wird der Streit aber zu grob, dann greifen Sie entschieden ein und machen Sie klar, dass z.B. Dreinschlagen nicht akzeptiert wird.
    Wie verhalte ich mich, wenn die Kinder streiten?

  • Wichtig ist zu beachten, wie wir uns verhalten, wenn unsere Kinder streiten:
    Bei genauer Betrachtung fällt vielen Eltern auf, dass sie das Streitverhalten ihrer Kinder unbewusst beeinflussen und vielleicht sogar verstärken.
    Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass sie das Streiten fördern, indem sie den Kindern vor allem dann Aufmerksamkeit schenken, wenn sie streiten.

    Das könnte bedeuten, dass ihre Kinder so sich ihre Zuwendung holen. Sie können sich fragen, ob es nicht sowieso an der Zeit war sich wieder mit dem Kind / den Kindern abzugeben und auf eine andere Art (z.B. über ein gemeinsames Spiel) ihnen Ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
  • Sie sollten auch versuchen herauszufinden, was für Bedürfnisse und Motive hinter dem Streitverhalten der Kinder bzw. des streitsuchenden Kindes stecken.
    In anderen Artikel (Kinder verstehen – was hilft oder Warum Kinder lügen und wie Sie damit umgehen können) habe ich bereits dargelegt, dass es sehr hilfreich sein kann, wenn wir nicht nur das Verhalten der Kinder reagieren und achten, sondern nach den möglichen dahinterliegenden Motiven der Kinder suchen.

    Kann es sein, dass das streitsuchende Kind eifersüchtig ist? Kann es sein, dass es einfach nur Aufmerksamkeit und Zuwendung sucht? Ist es möglich, dass es das Gefühl hat sich selber behaupten und durchsetzten zu müssen? Wenn wir auf die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes achten, hilft es uns sein Verhalten zu verstehen. Wichtig ist es dann auf diese Gefühle und Bedürfnisse zu reagieren und nicht nur auf das (streitsuchende) Verhalten.

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Haben Sie Geschwister?

Können Sie sich erinnern, wie oft sie gestritten haben?

Viele erinnern sich vor allem an die Reaktionen der Eltern / der Mutter oder an kleinere oder grössere Blessuren aufgrund solcher Streitereien. Ich habe noch von niemandem gehört, dass dieses Streiten in der Kindheit geschadet hat (und wenn, dann waren es im Grunde andere Gründe wie z.B. Bevorzugung durch die Eltern oder Vernachlässigung).

Die meisten von uns konnten aber im sicheren Feld der Familie von diesen „Rivalitäts-, Selbstbehauptungs- und Spielkämpfen“ ganz viel lernen und fürs Leben insgesamt profitieren.

  • Was sind Ihre Erfahrungen warum Kinder streiten?
  • Wie gehen Sie damit um?

Teilen Sie Ihre Erfahrungen anderen Eltern mit. Wir alle sind froh, wenn wir von den Erfahrungen anderer profitieren können. Vielen Dank!

Ihre

Sara Michalik


Alle Links in diesem Artikel:

20 Reflexionsfragen für ein bewusstes Erziehen

Zoff: Was ist der Reiz am Streiten

Kinder verstehen – was hilft

Warum Kinder lügen und wie Sie damit umgehen können

 


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